Diversität, Diversity, Vielfalt – diese Begriffe fliegen einem im Kontext von Employer Branding und Organisationsentwicklung geballt um die Ohren. Alle wollen bunter und vielfältiger werden. Wollen sich verändern. Ringen um Worte, die beschreiben sollen, wie offen und tolerant und miteinander doch alles so abläuft. Im Fokus dabei steht häufig die Queer-Community, die im Leben und am Arbeitsplatz für sichtbare Präsenz gekämpft hat und häufig Treiber dieses Themas ist. Die von der Charta der Vielfalt definierten Vielfaltsdimensionen sind aber zu siebt: Neben der Dimension »sexuelle Orientierung« gibt es noch Alter, ethnische Herkunft und Nationalität, Geschlecht und geschlechtliche Identität, körperliche und geistige Fähigkeiten, Religion und Weltanschauung sowie soziale Herkunft. Das schöne an diesen Dimensionen: Jede und jeder ist von jeder Dimension betroffen. Mit ganz unterschiedlichen Konsequenzen für Leben und Arbeiten.
Die steigende Relevanz von Diversität führt zu ganz unterschiedlichen Aktivitäten in Institutionen und Organisationen. Die einen ziehen sich zurück, entwickeln Konzepte und stellen ihre Organisation neu auf, bevor sie den Weg nach außen suchen. Wenn man sich die Flut der Bekenntnisse genau ansieht, entpuppt sich vieles als reines „pinkwashing“, also laute Tonspur mit wenig dahinter. Wer jetzt ganz kritisch ist, könnte schon den Begriff pinkwashing verwerfen, weil hier nur eine Dimension der Vielfalt im Fokus steht. Ich hab aber auch keinen besseren Vorschlag. Manchmal muss es eben plakativ sein. Eins ist klar: Ein Pride-Logo im Pride Month ist hübsch, reicht aber nicht.
Das Ringen um mehr Vielfalt hat einen klaren Treiber: den Fachkräftemangel. Der Markt ist leergefegt. Unternehmen können nicht länger nach alten Mustern rekrutieren und weiterhin ihr Stereotyp eines – um nur ein Beispiel zu nennen – heterosexuellen, männlichen, gut ausgebildeten nordeuropäischen Absolventen aus der Mittelschicht einstellen. Sie sind gezwungen, ihr Radar zu öffnen und zu schauen, wer sonst noch auf dem Arbeitsmarkt zu finden ist. Das macht erst mal Arbeit, denn Stellenanzeigentexte müssen neu formuliert, Interview-Guidelines kritisch überarbeitet werden. Dazu braucht es ein klares Gefühl dafür, wie unterschiedlich Menschen in einem Team sein dürfen, um hinten raus gute Ergebnisse zu produzieren und Innovationen zu entwickeln, die die Zukunft der Organisation sichern.
Die Attraktivität als Arbeitgeber steigt, wenn Kandidat:innen Vielfalt während ihrer Candidate Experience erleben dürfen. In der Stellenanzeige, im Content auf der Karrierewebsite, auf Kununu, Karrierportalen und Social Media-Plattformen wie LinkedIn, Twitter, Instagram, TikTok oder Twitch. Aber vor allem in der direkten Interaktion mit Menschen aus der Organisation. Talente fragen aktiv nach breit angelegten Diversitäts-Konzepten, manchmal schon im ersten Vorstellungsgespräch. Da brauchen Recruiter:innen gute Antworten. Und vor allem die Fähigkeit, das eigene Handeln zu reflektieren und den eigenen Vorurteilen auf die Spur zu kommen.
Die nachhaltigste Motivation für mehr Offenheit erwächst aus einer klaren unternehmerischen Haltung: Organisationen fühlen sich mehr und mehr als Teil der Gesellschaft. Sie erkennen, dass sie möglichst vielseitige Perspektiven der Gesellschaft innerhalb der Organisation versammeln müssen, wenn sie relevante Produkte und Services für eine immer vielfältigere Gesellschaft entwickeln wollen. Die unterschiedlichsten Blickwinkel bei der Entwicklung und der Vermarktung sorgen dafür, dass Produkte und Services eben nicht nur für ein Kundensegment passend sind.
Das Beispiel der Crashtest-Dummys aus dem letzten Jahrhundert ist sicher bekannt: Die Dummys waren so gebaut wie eine durchschnittlich große und schwere männliche Person aus einem Land der ersten Welt. Genau so, wie die Personen aus dem Entwicklungsteam ihre Welt wahrgenommen haben. Aus diesem Grund hatten Frauen lange Zeit schlechte Karten, schwere Autounfälle zu überleben. Dahinter steckt keine böse Absicht, sondern einfach der Mangel an unterschiedlichen Perspektiven bei der Erfindung dieser Dummys.
Verantwortliche in den Organisationen ändern gerade ihre Sicht auf die Menschen, die mit ihnen arbeiten. Die Frage lautet: »Wie können wir möglichst vielschichtige Perspektiven integrieren, die gleichberechtigt miteinander an unseren Themen arbeiten.«
Das macht Diversität zu einer strategischen Aufgabe, die Hand in Hand mit Nachhaltigkeits- und Corporate-Responsibility-Initiativen dafür sorgt, Leistung und Marktrelevanz zu steigern. Zur Diversität, die qua Begriff die Unterschiedlichkeit betrachtet, gesellt sich auch die Integration als eine der Kernaufgaben von Organisationen, die sich bunter aufstellen wollen.
Es ist noch viel zu tun. Studien zeigen die Lücken auf: 90 % der Führungskräfte stufen Diversity & Inclusion (D&I) als eine der wichtigsten Prioritäten ein. Aber nur 34 % der Führungskräfte sehen darin eine Stärke an ihrem Arbeitsplatz*. Etwa 80 % der Führungskräfte sind der Meinung, dass D&I die Unternehmensleistung verbessert, aber nur 40 % der Mitarbeiter:innen berichten, dass ihre Führungskräfte D&I-Ziele setzen und kommunizieren**.
In Teil 2 dieses Beitrags geht es um die Frage, warum es so schwer ist, Veränderungen anzugehen und sich im Sinne von mehr Diversität anders aufzustellen. Dazu gibt es konkrete Hacks, wie sich Dinge in Bewegung bringen lassen. Mitte Dezember geht’s weiter. Wer schon jetzt was tun will, kann sich einfach mal den Content auf den eigenen Kanäle ansehen. Kritisch ansehen. Am besten zusammen mit einer Person, die so ganz anders ist, als man selbst.
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